Dumm gelaufen by Moritz Matthies
Autor:Moritz Matthies [Matthies, Moritz]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Kapitel 11
»O nein!«
Ich habe Phil mit meiner Kralle ein Ohrloch
stechen müssen, jetzt allerdings ist er wach. Auf
seiner Stirn prangt ein roter Bogen – der Abdruck
des Lenkrads, auf dem sein Kopf die vergangenen
Stunden verbracht hat. Die Morgendämmerung ist
noch fern, doch die Silhouetten der Hochhäuser
beginnen bereits, sich gegen den Himmel
abzuzeichnen. Könnte ein beschaulicher Moment
sein, wäre da nicht die vor uns liegende Aufgabe.
»Nicht schon wieder!«, stöhnt mein Partner. Vor
Schreck weiten sich seine Augen. Ganz ehrlich:
Mit Sonnenbrille sähe das besser aus.
Ich sitze im Rahmen des Fahrerfensters und lasse
die Beine baumeln. »Was ist?«
»Ich sehe schon wieder Tiere!«
Vorsichtshalber frage ich nach: »Welche Tiere?«
»Schimpansen oder so. Zwei Stück, da vorne auf
der Parkbank. Die knutschen.«
Ein Glück, alles in Ordnung. »Das sind Kasai
und Sankuru«, beruhige ich Phil. »Die befummeln
sich die ganze Zeit. Bonobos eben.«
Mein Partner sieht nicht wirklich erleichtert aus.
»Und weshalb sitzen die da auf der Bank?«
»Weil ich sie dort abgesetzt habe.«
Phil blinzelt in die Gegend: sein Auto, alles klar.
Der Parkplatz kommt ihm ebenfalls bekannt vor.
Eine erleuchtete S-Bahn rattert über ihn hinweg.
Ach ja: Bahnhof Zoo. Und das Erdmännchen bin
ich, Ray, sein Partner. Nur wie er
hierhergekommen ist, ist ihm ein Rätsel.
»Bist du etwa gefahren?«
»Echt witzig …«
»Also ich?«
Ich nicke.
»Größere Schäden?«
»Die Laterne geht nicht mehr. Wie es in deinem
Kopf aussieht, musst du wissen.«
Er überlegt, nimmt eine kurze Inventur seiner
Gehirnwindungen vor. Die Festplatte scheint noch
funktionstüchtig. Schließlich nickt er Richtung
Parkbank: »Und was ist mit den beiden
Fummeltrienchen?«
»Mit denen machen wir jetzt einen Ausflug. Den
Rest erkläre ich dir unterwegs.« Ich springe auf
den Bordstein. »Du hast da übrigens was am Ohr.«
Bis wir bei der Galopprennbahn ankommen,
haben Kasai und Sankuru es fertiggebracht,
dreimal auf der Rückbank Sex zu haben. Dabei ist
der Tag noch nicht einmal angebrochen. Rufus hat
mir erklärt, der viele Sex sorge bei den Bonobos
für Aggressionsabbau – für ein friedliches
Miteinander. Ich weiß nicht, wie Bonobos sonst so
drauf sind, aber was Kasai und Sankuru angeht:
Deren Miteinander ist so friedlich, dass man
annehmen könnte, sie beginnen ihren Tag mit einer
gemeinsamen Opiumpfeife. Reden tun sie übrigens
nicht. Also Bonobos im Allgemeinen schon, nur
Kasai und Sankuru nicht. Rufus meint, sie seien
traumatisiert: Die beiden sollen bei einer
Umweltschutz-Guerilla-Aktion von
Artenschutzaktivisten aus der Gefangenschaft von
Wilderern befreit und anschließend so lange mit
Gesprächs-und Therapieangeboten gefoltert
worden sein, dass sie irgendwann das Sprechen
eingestellt haben. Die Basics allerdings
funktionieren noch: Sex, Essen, Lausen …
»Du musst sie an die Hand nehmen«, erkläre ich,
nachdem Phil den Wagen in einem verschwiegenen
Eckchen geparkt und Lichter und Motor
ausgeschaltet hat, »sonst laufen die einfach
irgendwohin.«
Widerwillig nimmt Phil einen Bonobo an jede
Hand und führt sie hinüber zum Zaun, der das
Renngelände säumt.
»Rüber!«, rufe ich. Bonobos brauchen klare
Anweisungen.
Anders als ihre menschlichen Artgenossen sind
Bonobos exzellente Kletterer. Kasai und Sankuru
überwinden den Zaun mit derselben Leichtigkeit,
mit der sich ein Rüttelfalke in die Luft aufschwingt.
Ich tauche unten drunter durch.
»Na großartig.« Schwerfällig schwingt Phil sich
auf, zappelt hilflos mit einem Bein in der Luft,
während er mit dem Fuß einen Halt zu finden hofft,
klemmt sich die Finger, stöhnt, schnauft und fällt
auf der anderen Seite wieder zur Erde. »Ich
brauche einen neuen Job«, stellt er fest und
inspiziert einen Riss in seinem Leinensakko.
Kasai und Sankuru sind derweil davongestromert
und laufen als Schatten über den Rasen Richtung
Wald. »Die darf man nicht sich selbst überlassen«,
sage ich.
Notgedrungen eilt Phil ihnen nach, holt sie
schließlich ein, trennt sie und nimmt wieder jeden
an eine Hand.
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